Dem een sin Uhl is dem annern sin Nachtigall – Sprichwort

Wir Menschen nehmen unsere Umwelt unterschiedlich wahr.

In China sagt man, „die Sinne sind Tore von und zu der Welt“. Wir nehmen die Signale auf, und unser Geist baut daraus das Bild einer wundervoll geordneten Welt, des „Kosmos“ auf, denn für die meisten Zwecke des Lebens kommt es darauf an, jenseits der oft zufälligen Erscheinung zu erfassen, „was dahintersteckt“.

Diese innere Verarbeitung des Gegebenen, die individuell sehr verschieden ist, können wir im Supervisions­prozess durch­arbeiten.

Der Mensch denkt in Worten, durch die sprachliche Bezeichnung wird die konkrete Wahrnehmung emporgehoben. Der ganze Mensch nimmt wahr. Der ganze Mensch sieht und hört, mit allen Fähigkeiten der Seele, ja auch des Leibes. Das Wahrnehmen ist nicht bloß Wahr-Nehmen, sondern auch ein Wahr-Geben, ein höchst kompliziertes und doch unbewußt-systematisches Verarbeiten und Ergänzen der Sinnesreize.

Das Sprechen ist lebendige Tätigkeit, die in der Supervision nützlich und hilfreich wirkt. Wenn man Eindrücke scharf erfassen und sich einprägen will, setzt man sie möglichst in Tätigkeit um, wobei die Art dieser Tätigkeit durchaus nebensächlich ist, vorausgesetzt, sie steht mit dem zu sehenden in Beziehung. „Nur der Täter lernt“, sagt Nietzsche.

Was wir sehen, oder wahrnehmen, hängt ab von dem, was wir sind.

Man lernt eine Landschaft unter jeweils anderen Perspektiven sehen, wenn man etwa mit einem Landwirt oder einem Biologen oder einem Maler hindurchwandert.

„Vier Augen sehen mehr als zwei“, aber nur dann, wenn über das Beobachtete gesprochen wird; denn man wird nicht nur vom anderen auf allerlei aufmerksam gemacht, was man von sich aus nicht sähe; man wird auch selbst aufmerksamer, wenn man den anderen aufmerksam machen will.

In der Supervision ist Raum und Platz, zu besprechen und bearbeiten, was und wie wir wahrnehmen.

Wenn wir diese Zeichnung ansehen: was sehen wir und was nehmen wir wahr? Wir sehen „Dinge“ – entweder eine Treppe oder ein überhängendes Gemäuer. Wir sehen nicht einzelne Striche, sondern wir erfassen die „Gestalt“. Und dann deuten wir die Gestalt unterschiedlich, weil wir zur Gestalt allerlei hinzufügen, indem wir sie „begreifen“.

„Das Wahrnehmen ist nicht bloß ein Naturgeschehen, sondern ein Kulturakt.“ (Prof. Dr. Richard Müller-Freienfels)

Wahrnehmung

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